Rechtschreibreform. Und nun?
Die Rechtschreibreform ist ja wohl in allgemeiner Akzeptanz versunken. Und? Wie gehen wir jetzt mit dieser halbgekochten Suppe um?
Statt der bisherigen Regeln haben wir jetzt 112 Paragraphen mit vielen widersprüchlichen Unterparagraphen, 111 Wortlisten und rund 1200 "neue" Wörter mit fast ebensovielen Anwendungsbestimmungen.
Niemand wollte sie - die Bürger nicht, die Lehrer nicht, die Künstler nicht (" ... schlecht, häßlich, unlogisch und kompliziert ... Zum Ekeln. Grandios unbrauchbar ..."). Schon im Mai '98 warnten 550 Professoren der Sprach- und Literaturwissenschaften: "Eine derart fehlerhafte Regelung [...] darf keinesfalls verbindlich gemacht werden".
Da nach dem Ende des Duden-Privilegs alle neuen Wörterbücher gleichberechtigt sein sollen, unterscheiden sie sich dank der undurchschaubaren Regeln natürlich in Tausenden von Einträgen. Fest steht nur, daß viele der neuen Regeln nochmals geändert werden, spätestens dann sind diese Wörterbücher endgültig unbrauchbar.
Verkauft wurde uns die Reform "Im Interesse der Kinder und Bürger". Tatsache ist, daß die Kinder bisher nur sehr wenig von den neuen Regeln sehen, dafür aber abwechselnd alte und neue Schreibungen. Sehr verwirrend, lernt man doch das, was man liest.
Möglicherweise ist das eigentliche Ziel der Reform einfach nur, die Rechtschreibregelung aus der Kompetenz eines deutschen Privatverlages in die staatliche Kompetenz zurückzuholen - die wahren Interessen sind jedenfalls wirtschaftlicher und politischer Art. Die Kosten dieser Reform sind astronomisch, eigentlich kaum abzusehen. Sämtliche amtlichen Druckwerke in Behörden und Firmen, vom Grundgesetz bis zur letzten Fax-Vorlage, Umschulung Millionen Beschäftigter im öffentlichen Dienst, Auswechslung hundertausender Straßen- und Verkehrsschilder, hunderte von Millionen von neu verkauften Büchern [oxo] ... und in ein paar Jahren gleich nochmal, mit den "allerneuesten" Neuerungen.
Politisch korrekt formulierte der sächsische Kultusminister: "Es geht um die Frage, ob diese Gesellschaft veränderungsfähig und veränderungswillig ist", übersetzt: "Wenn wir Politiker selbst keine sinnvollen Reformen zustande bringen, können die Bürger ruhig mal ein paar neue Schreibweisen lernen und damit beweisen, wie reformfähig Deutschland ist".
pa.eng, december.99