Verschwörung
26.3.
Der Karstadt wird mir unheimlich. Als ich heute morgen einkaufen war, hörte
ich zum ersten Mal diese Durchsage: "42, bitte 7." Was hat das zu bedeuten?
Ich legte schnell die Hundebürste zurück, die ich für meinen Dackelrüden
kaufen wollte, und verließ das Kaufhaus. Überall Kameras.
27.3.
Auch in der Lebensmittelabteilung also: "20 bitte, 20!" Rätselhaft: Sofort
nach der Durchsage nahm die Wurstverkäuferin die von einer Kundin
reklamierte Dauerwurst widerspruchslos zurück. Zufall?
28.3.
Posten in der Stoffabteilung bezogen. Schon nach zehn Minuten konnte ich
zwei Durchsagen festhalten: "15, bitte!" und "13, bitte 2!" Mag sein, dass
ich mich bei der letzten verhört habe. Was soll das? Heisst 'Fünfzehn' etwa:
"Fräulein Bauer bitte zur Kasse 1"? 'Dreizehn' soviel wie "Herr Dr. Mann,
bitte zum Chef" und 'Dreiunddreißig' "Herr Warnke, wenn Sie sich noch einmal
im Schritt kratzen, während Sie bedienen, fliegen Sie raus!"?
30.3.
Ich glaube, hier ist eine fremde, dunkle Macht am Werk. Warum sonst würde
man Codes benutzen? Bislang habe ich 93 verschiedene, teilweise auch mit
Buchstaben. Pro Tag kommen etwa 20 neue hinzu. Ich brauche mehr Zeit.
2.4.
Ich habe meinen Job gekündigt.
3.4.
Der erste ganze Tag im Karstadt. Zwei Stunden Lebensmittel, drei Elektronik,
fünf Autozubehör. Im Cafe kennen sie mich schon. Tarnung?
4.4.
Der Hausdetektiv verfolgt mich. Ich habe Angst. Auch andere Kunden scheinen
die Durchsagen wahrzunehmen. Eine ältere Dame zuckte sogar zusammen. Eine
ehemalige Verkäuferin? Ihr verhärmtes Aussehen läßt darauf schließen. Ich
folge ihr bis zum Ausgang. Nichts. (Verströmt das Gebläse am Eingang ein Gas?)
5.4.
Die Zahlen werden immer höher. Ich brauche ein neues Notizbuch. Irgendetwas
ist im Gange.
6.4.
Stasi?! Ich gehe davon aus. Ich muß Erika warnen. Sie kauft hier immer noch
arglos ein. Ich schon seit Tagen nicht mehr. Alles, was ich bei Karstadt
gekauft habe, werfe ich weg. Meine Geldreserven sind bald aufgebraucht. Ich
gehe nicht mehr ins Karstadt-Cafe. Vermutlich ist im Essen eine Droge, die
einen die Durchsage überhören läßt.
8.4.
Heute morgen war ein Reklamezettel von Karstadt in der Post. Ohne Absender.
Sie wissen also, wo ich wohne. Anzeige? Erika meint, ich sehe Gespenster.
Was soll ich tun?
"Wollen Sie eine Tüte?" hat mich die Verkäuferin bei meinem Alibieinkauf gefragt. Sie hatte so etwas Lauerndes im Blick. Natürlich habe ich die Tüte abgelehnt, ich weiß genau, was da drin gewesen wäre.
10.4.
Jetzt wird es ernst: Eine junge, gutaussehende Frau bot mir englisches
Mürbegebäck an. Angeblich weil "britische Aktionstage" bei Karstadt sind.
Ging zum Schein darauf ein. Entfernte mich rasch und unauffällig und erbrach
alles wieder. So leicht kriegen sie mich nicht.
11.4.
Bei der Durchsage "72, sofort 3e!" lief ich in Panik hinaus in die
Fußgängerzone und nach Hause. Wenn man meine Anzuggröße zu meinem Alter
addiert, ist das Ergebnis "72". Und was soll "3e" bedeuten? Natürlich:
Dritter Stock, sofort eliminieren! Es geht los.
15.4.
Kommissar Böcklin sagte mir heute, dass bei meinem Anschlag niemand getötet
wurde. Lediglich in der Elektroabteilung entstand größerer Sachschaden. Der
Kommissar trug am Revers ein Namensschild. Darauf stand die Nummer 27. Also 72 von hinten gelesen.
Ich bin verloren ...
~anonym~