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Hangover

Erste Dämmerung des Bewußtseins.
Das halbdunkle Zimmerm ist knallheiß. Max ist völlig naß. Das Bettzeug klebt ihm am Leibe.
Shit. Die Heizung ist mal wieder viel zu weit offen.
Max hört Andy im anderen Zimmer rumoren.
'Wie spät isses denn?'
'Zwei Uhr!'
Shit! Schon wieder viel zu spät, um mit dem Tag noch was vernünftiges anzufangen.
'Keine Lust aufzustehen?'
Max's Blase drückt.
'Schlecht ist mir. Ich glaub', ich sollte kotzen gehen.'
'Blödsinn, 'ne ganze Nacht pennen, und am Morgen kotzen, das gibt's doch gar nicht.'
'Blöde Sauferei. Mann, ich glaub' ich muß wirklich kotzen.'

Sitzen bringt's nicht, hinlegen noch weniger. Mist, mir kommt's tatsächlich hoch. Los, Beeilung ...
... Die Würgerei! und was kommt, nur grüner Scheißdreck, äch, ersticken muß schöner sein. Grüner Schleim. Das ist doch wohl lächerlich. Jeder Knochen im Leibe tut weh. Scheiß Sauferei.

Max geht zurück ins Wohnzimmer und beobachtet Andy, der mit fahrigen Fingern seine dreckige Wäsche sortiert.
Es klingelt. Max läßt Heinz herein.
'Hi! Wie lief es denn gestern noch so?'
'Ach, erst viel Bier in der Kneipe, dann haben wir diese vier Hüpfer auf der Straße gefunden, die auch noch fit waren, total lebendige, die noch reden konnten, aber gesoffen ham'se nix.'
'Wir dafür um so mehr!' grinst Andy.
'Jau! Als das Bier alle war, Tequila. Fast eine ganze Flasche.'
'Der Rausch war herrlich.' meint Andy und mustert die Vorräte.
'Riesengroß wuchs der Wahn über die Weite. Hehehe ...
Später hatte ich 'nen Schluckauf. Da hab'ich das alte Rezept mit den zehn Schluck Wasser probiert, hat auch geholfen, allerdings brauchte ich dreißig Schluck. Die hab ich dann auch prompt wieder ausgekotzt.'

Das war witzig, da kam EIN langer Strahl Wasser, und dann gar nichts mehr. Sofort eingeschlafen. Wie ein Stein, ein Toter, eine Schnapsleiche.

'Und? Wie geht's euch jetzt, an diesem herrlichen Morgen?'
'Piss off! Mir geht's zum Kotzen!'

Dieses vergiftete Gefühl. Kotzübel, zerschlagen, hohl, schmerzhaft, Kopfschmerzen, Nierenschmerzen, müde, stumpf, schlaffe Glieder, bewegungsunfähig, zitternde Hände, fahrig, nervös, Augenbrennen, Ohrensausen, appetitlos, totaler Durst, stinkender Leib, wässrige Pisse, ekelhaft stinkende Scheiße, dünn auch noch, verklebte Augen, Sodbrennen, dreimal die Minute was aus den Bronchien hochwürgen, weil man natürlich mal wieder 50 Zigaretten geraucht hat.

'Kommt ihr mit raus?'
'Nee, ich will einfach nur im Sessel hängen ... null Ahnung, was jetzt noch mit dem Tag anzufangen.'
'Jaja, die große Schlaffheit und Lustlosigkeit. Weil du am Abend vorher gesoffen hat wie ein Loch. Wozu die Sauferei?'
Langsam kommt Max zu sich. Was will dieser Typ von ihm?
'Nu guck mal an, darf ich euch Herrn Saubermann vorstellen, der vor mir, dieser Schnapsleiche steht, sich ekelt, mich mit Füßen tritt, sich ereifert, Drecksau, Abschaum, unnützes Pack .. aber ich hab' gar keine Lust, mit dir zu diskutieren, Mann. Nenn' mich, wie du willst.'
'Wieso, ich will ja nur verstehen ...'
'DU willst mich verstehen? Das ist witzig, Mann!'
Die bekümmerte Miene von Heinz amüsiert Max.
'Ok, Ok. Ich hab mich also gestern besoffen, hab die Sau 'rausgehängt. Das mach' ich öfter mal. Einfach, weil ich mich danach fühle. Du machst sowas auch, aber halt nur, wenn's gestattet ist. An Fasnacht zum Beispiel. Oder an Sylvester. Oder an deinem Geburtstag. Oder wann immer es gestattet ist. Du würdest es auch gern öfter mal machen, die Sau 'raushängen, aber du traust dich nicht. Es ist ja schließlich nicht gestattet.'
Heinz schluckt, Max kommt immer mehr in Fahrt.
'Dafür zeigst du deinem Chef den Finger hinter seinem Rücken. Oder gehst in die Peepshow. Oder vergewaltigst kleine Mädchen. Oder verschwindest mit einer Nutte in einem billigen, stillen Hotel. Oder ziehst in den Krieg und erschießt deine Brüder. Oder verprügelst deine Frau. Oder deine Kinder. Aber sechs sieben bis dreimal im Jahr bist du fröhlich. Heiter. Lustig. Freudig. Das reicht ja auch! Wo kämen wir denn hin, wenn jeder einfach so fröhlich ist, wenn's ihm paßt? Der Ernst des Lebens wartet schließlich vor der Tür.
ES IST KALT UND GRAUSAM DA DRAUSSEN!'

Max war aufgesprungen und stand jetzt über Heinz gebeugt, der sich in seinem Sessel zusammenkauerte.
'Kannst du dir vorstellen, daß sich jemand den Arsch genau deswegen vollsäuft, nicht weil er Spaß und Freude dran hat, sondern weil es da draußen kalt und grausam ist?'
Während Heinz noch überlegt, ob er diese Frage wirklich beantworten sollte, scheppert die Türklingel. Max, noch immer mit den Armen gestikulierend, springt zur Tür und reißt sie auf. Es ist Kumpi, der wie üblich eine Tüte Gemüse mit sich rumschleppt. Kumpi starrt Max an.
'Mein Gott, siehst du beschissen aus ... hast wohl wieder einen schweren Absturz hinter dir, was?'
'Ach, jetzt kommst du auch noch, der du schön bist, und voller edler Motive, voller Mitgefühl für deine Mitmenschen, der dafür ist, daß man dagegen ist, der Neue Denker, der Weltveränderer, der mir sagt: "Es lebe das klare Bewußtsein!" ...'
'Hey Mann, Love and Peace ...'
'Ah, ich soll mich selber und meinen Nächsten lieben, mach ich ja, aber niemand will meine Liebe, außer mir selbst; der nächstbeste, dem ich sage: ich liebe dich, der haut mir auf die Schnauze, oder er fragt mich, ob ich schwul bin, oder sie fragt mich, ob ich sie auch heiraten werde.'
Max rennt im Zimmer herum, beginnt wieder zu gestikulieren.
'Auf jeden Fall meinen er und sie, daß ich irgendwas von ihnen will. Keiner fragt, wieviel ich will, jeder nimmt an, daß ich mehr will, als sie geben wollen, zu geben bereit sind, geben können. Lächeln verboten, anfassen ist Gewalt. Außer an Fasnacht, da darf man anfassen, grapschen, 'rumspeicheln, jeder liebt jeden, ist ja egal, wenn man am nächsten Morgen gesenkten Blickes aneinander vorbei hetzt, sich nicht in die Augen schauen kann, es ist schließlich wieder Alltag, Lächeln verboten, anfassen ist Gewalt.'
Max wirft sich auf Heinz, rüttelt ihn am Kragen, schreit ihm ins Gesicht.
'Und wer sich in der Hitze der programmiert lustvollen Nacht den Tripper oder die Schwangerschaft aufgelesen hat, muß sich halt böse Blicke und böse Sprüche von Onkel Doktor, Eltern oder Partnern gefallen lassen! Ja, ist das nicht so?!'
'N-N-Nein, es muß nicht so sein, es geht auch anders ...' stottert Heinz.

Max tätschelt Heinz die Wange, schlurft zu seinem Sessel, lacht.
Er lacht, bis ihm Tränen über die Wangen laufen ...
Heinz und Kumpi gehen.
'Gute Vorstellung, Mann' grinst Andy, riecht an einer Socke, verzieht das Gesicht.
'Scheiße, auch dreckig.'
Max öffnet ein Bier.

/pa.eng