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In diesem Dorf schläft man schnell, nach dem Orgasmus

Heute muß das Dorf zum Orgasmus kommen. Ein Jahr gespannte Erwartung. Viele Tage zum Aufbau des Höhepunktes. Heute ist es endlich soweit. Max und Andy haben einige Stunden gewartet, damit sich die Leute erst mal an ihr Niveau heransaufen können. Jetzt ziehen sie los.

Erste Kneipe.
Dicke Luft, Gekreische, aufgerissene Mäuler, kiloweise Schminke, im Eck' sitzt einer mit nem elektrischen Akkordeon, dicke Anlage, Ländler und Schunkellieder, die Tulpen aus Amsterdam nicht zu vergessen. Sie sehen sich an, puuh, nee, erst mal woanders gucken.
Hände in den Taschen vergraben, den Kopf in die Schultern gezerrt, latschen sie die Straße 'runter, fünf Stufen hoch zur nächsten Kneipe, auf dem Schild steht 9 Mark Eintritt, wegen der Hausmusik, das ist zuviel, aber da geht die Tür auf und sie hören die Musike, dieses Fasnachtsblechorchester, verkleidet auf altbewährte Narrenart, bemalt, mittlerweile vom Schweiß auf's fleckigste und streifigste markiert, Trompeten, Saxophone, alles Blech, das nur noch an Fasnacht benutzt werden kann, denn es zeigt die Spuren alljährlich wiederkehrender Kneipenschlachten, hartgewordene Spritzspuren vom letztjährigen Orgasmus vereinen sich mit den ersten Säften dieses Jahres, jemand zieht die beiden an den Ärmeln 'rein, los kommt, hier ist Stimmung, im Hintergrund sitzen schon wieder so Ländler, sie stehen im Gedröhne des Spritzorchesters, welches gerade eine Runde beendet und eine Pause ankündigt und im allgemeinen Anstoßen und Geistervertreiben flitzen sie durch die Tür, fast fürchten sie Verfolgung.

Ein neuer Anlauf, eine neue Kneipe, hier gibt's die echten Steirer Buam aus österreich, die Leute schunkeln auf langen Holzbankreihen, tanzen mit wirbelnden Röcken und verbissenen Zähnen, dutzende von Aufreißern lümmeln an den Wänden, verkleidete Girls, meist in Grüppchen, tänzeln aufgeregt durch die unbestimmte Menge, quietschen in höchsten Tönen abgefuckte Sprüche, vier Frauen kommen, mit Frack und Zylinderhut, aber ganz kurzen Höschen, Gesicht versteckt hinter einem undurchsichtigen Schleier, und diese netzbestrumpften langen Beine, geil ist das, anzügliche Tätigkeiten gegen Männer, auch Max versucht tätig zu werden, nach kurzem Geplänkel mit anfassen und Brust-an-Brust-reiben wieder Gequietsche und weg sind sie, zerflattern wie Zigarettenqualm, ein Osterhäschen schiebt Max ein Schokoladenei in den Mund.
Sie treiben durch die Gänge und Winkel, treppauf, treppab, dort ist eine 'Hafenbar', dicht besetzt, mehr die progressiv-dynamischen mit hard drinks, und dann --- wow, da steht sie, eine Madonna, an der Wand, ganz allein, Max starrt sie an, sie starrt ihn an, etwas bewegt sich, sie wissen, sie wollen, beide, plötzliches Getöse, die Buam legen noch eins drauf, Geschiebe, Gedränge, Aufregung, endlich sind sie durch, die Madonna, weg und Max denkt: 'Ich glaub' ich spinne!', er hetzt rum, ahh, dort, neben dem Zigarettenautomaten ist sie ...
Zwei dunkle schnauzbärtige Männer schieben sich zwischen ihn und die Madonna, starren ihn an, er greift in die Tasche, senkt den Blick ... holt sich ein Päckchen Zigaretten aus dem Automaten ...
Läßt sich wieder durch die Gänge treiben, nirgends kann man sitzen und in Ruhe ein Bier trinken. 'Laß' uns nochmal die erste Kneipe probieren ...' findet Andy.
Dort ist der Akkordeonmann jetzt auf Hochtouren, aber da ist ein freier Tisch, nix wie ran da, puuh, zwei Bier und um sie herum brodelt es.

Ein fettes Bürgerweib ist schon am abflippen. Sie hopst von Tisch zu Tisch, säuft aus allen Gläsern, knutscht Männer ab, wälzt sich über Tische, langsam lawint sie auf die beiden Freunde zu, Max bekommt es mit der Angst, plötzlich ist sie über ihm, eine fettig glänzende schwitzige farbverschmierte Fratze stülpt sich über sein Gesicht, er kann gerade noch die Lippen zusammenpressen, hält sein Bier fest, beachtet alle ihre Aufforderungen überhaupt nicht und mit wegwerfenden Handbewegungen und stolz emporgerecktem Haupt schwabbelt der ausgeflippte Pudding davon.

Immer mehr Pärchen rennen auf der engen Tanzfläche ineinander, die Abknutscherei und Anfasserei wird immer intensiver und Max beginnt, sich nur noch auf Hände zu konzentrieren.
Kleine fette rosige Würstchenfinger, mit frischgeschnittenen und geschrubbten Nägeln, die erst mal die Damenhand erkunden, plötzlich entschloßen die im Rythmus stechende Hüfte ergreifen, die riesige Fläche des glatten Rückens erforschen, bei einem ungeschickten Dreher nach vorne rutschen, den Busenansatz streifen, endlich ein Ziel! und die Finger werden blaß vom Bestreben der Hand, länger und länger zu werden, endlich mal die ganze Brust anzufassen; und wo bisher allein die Hand Leben besaß, während der Rücken, die Knie,der zur Seite abgewandte Kopf und selbst das Lächeln tiefgefroren an dieser Hand klebten, jetzt tut sich was, der Kopf taucht ins Haar der Gegenüber, die Augen werden starr, das Lächeln erschlafft, die Zunge hängt etwas aus dem Maul, dann berühren sich die Brustwarzen, der Unterleib sackt nach, Erhebung drückt in Ausbuchtung, es sackt weiter, noch weiter, jetzt schiebt sich ein Knie in die angebotene öffnung, der ganze Kerl hängt jetzt wie ein nasser Sack an der Dame, die sich vor lauter Gewicht kaum mehr als im Takte wiegen kann und ...

Plötzlich ist die Musik fertig.

Einen Moment ist es still und ganz hell, dann Stimmengewirr, man ordnet sich die Haare, streicht Rock und Beinkleider zurecht, bedankt sich artig, begleitet die Dame sozusagen kavaliersmäßig zu ihrem Platz, verzerrt sich kurz vor dem Ehemann der Dame, räuspert sich zur Bar durch und dann verschmäht er sein volles Glas und setzt sich die Pulle an den Hals, tiefer Schluck, und die Augen, eben noch verschleiert von den klebrigen Fäden seiner Sinnlichkeit, blitzen schon wieder gierig durch die Gegend, ein neues Lied, ein neues Opfer, und wieder erwacht eine Hand zum Leben.
Alle Macht einer Potenz, die so viele Nummern verkraften kann!

Mittlerweile fühlt sich Max bedrängt, von allen Seiten starren sie, Augen, Münder, Brüste, Schwänze, Mösen, sie alle lächeln, winken, schaukeln, zwinkern, recken sich ihm entgegen, wollen ihn, noch bleibt Max standhaft, gießt sich ein Bier nach dem anderen hinter die Binde, beobachtet Hände ...
Alles um ihn herum ist wie Pudding. Der Lärm die blitzenden Lichter Zähne Augen Schweißtropfen Bier Zigarettenqualm Orgon Samen Schminke nackte Schenkel hochgehobene Röcke grabschende Hände Münder die Kellnerin mit den Säulenbeinen unter dem Minirock Geifer Partnertausch ...
Und obendrüber ein heulendes, Münchner Hofbräuhaus verherrlichendes Akkordeon, ein riesiges Käsefondue, orgiastisch, dann eine Stimme an seinem Ohr, laß' mich dich holen, er wird im Kreise gedreht, hat plötzlich diese eigenlebenden Hände an seinem Körper, wird Teil des Puddings, verschlungen, weiche Nähe überall, rote Wolken, Hitze, ein nasser Mund, eine klebrige Zunge ...

Langsam kommt Max zu sich. Überall helles Holz, Ruhe. Um ihn herum sitzen sechs alte Knacker und zwei Frauen. Max begreift, daß über seine Verlobung verhandelt wird. Woher, wohin, wieviel im Monat - von hier nach da, nix Einkommen ... plötzlich sind die Frauen sehr müde, die Männer müssen auch nach Hause, zögernd ungläubiges Nachfragen, vergewissern, wirklich so ein NICHTS?

Max bestätigt und bekräftigt, bald sind alle weg.
Und dann wankt er nochmal durch die nächtlichen Gassen, aber alle sind fertig, keine Menschenseele ist mehr unterwegs.
In diesem Dorf schläft man schnell, nach dem Orgasmus.

/pa.eng