Bedeutung von Award-Foren
Es besteht eine wechselseitige Abhängigkeit von Identität und Individualität und der damit verbundenen Potentiale und Risiken einer medialen Gesellschaft. Auf der einen Seite besteht die Gefahr, durch die Medientechnologien beobachtet und kontrolliert zu werden, andererseits eröffnen sie erst die Möglichkeit und Freiheit, die eigene 08/15-Standardbiographie durch eine "do it yourself biography" in Form einer Homepage oder einer ganzen Website zu ersetzen. Die Individualisierung der Gesellschaft geht einher mit der Medialisierung der Gesellschaft. Die Summe und der Inhalt der publizierten Ereignisse und "Skandale" sorgt für ein Pulsieren dieser parallel verlaufenden Entwicklungen.
Prof. Bart Lootsma (Niederländischer Architekturkritiker) sagte einmal: "Wir empfangen 20-30 Fernsehkanäle und produzieren mindestens ebensoviele Subkulturen." Somit ist die eigene Identität, wenn man dieser Aussage folgt, eine Komposition aus geschriebenen und illustrierten Internet-Bits, TV-Spots und Elementen aus 'Daily Soaps' á la Lindenstraße oder GZSZ. Chatrooms und Foren machen es beispielhaft möglich, die eigene Identität in Sekunden zu wechseln; anstatt einer, der wahren Identität, können mehrere Identitäten "generiert" werden.
Darin könnte der Reiz liegen, Lebensdaten wie Puzzleteile aneinander zu fügen. Es wird zu einer "selbstgestellten" Aufgabe der Betrachter, manchmal auch der Kritiker, indem sie sich fragen werden, welche Fakten im Leben des Protagonisten wahr sind und welche nicht. Die hohe Konzentration an verfügbaren menschlichen Daten macht es erst möglich, Fragmente der eigenen Identität oder einer "fremden" Identität mit eigenen Eindrücken zu belegen, sie gar zu fälschen, oder, wenn nicht zu fälschen, diese dann in der Masse der Informationen untertauchen zu lassen. Der "ungewünschten" Anonymität wird somit Vorschub geleistet aber auch definitiv zuviel Bedeutung beigemessen ...
Mitunter romantisch und doch kühl analytisch ist die Foren-Welt geworden - eine irritierende Meditation über das menschliche Bedürfnis, Bilder mit Bedeutung zu versehen, prallt auf den Versuch, Postings mit Bedeutung zu versehen. Dies scheitert allerdings in den meisten Fällen.
Verführt durch anklagende und melancholische, aber möglicherweise auch irreführende Stimmen auf der Tonspur der Awardwelt (Foren), projiziert der Betrachter des bunten Treibens ein Gewirr von Emotionen auf die Selbstdarstellungsbühne, deren Teilnehmer und Zuschauer in rätselhafter Weise hinter einer eleganten virtuellen Fassade sitzen. Da weitere Hinweise auf den Zusammenhang fehlen können, suchen wir ersatzweise in der Körpersprache und den Gesichtsausdrücken nach Deutungen einer Erzählung, einer Aussage. Auch dieser Versuch das Ganze auf diese Weise zu betrachten scheitert an der Tatsache, dass es sich um virtuelles Gebaren handelt, es fehlt an der Körperlichkeit.
Wenn die Awardwelt von einer unaussprechlichen Traurigkeit oder Sattheit durchdrungen scheint, dann vielleicht deshalb, weil sich die individuellen Eindrücke fortgesetzt dem allgemeinen bzw. dem eigenen Verständnis von Awards entziehen, weil sich die beigemessene Bedeutung schlicht unterscheidet. Vor allem jedoch, weil es falsch ist, zum 1000sten Male falsch ist, den "feindschaftlichen" Postings verschiedener Foren mehr Bedeutung beizumessen, als einem Amöbenfurz. Gerät man selbst zwischen die Mühlsteine gegensätzlicher Interessenlagen, streitet man halt mit - bestenfalls verträgt man sich wieder, bevor der Kreislauf von neuem beginnt und eine unangenehme Situation zu einer lebenslangen 'Daily Soap' mutiert.
Auf den ersten und auch auf den zweiten Blick scheint die Gesamtheit der Forenbeiträge zum Thema Award (mit wenigen konstruktiven Ausnahmen) die perfekte Darstellung einer positiv zu wertenden Meinungsvielfalt zu sein, auch ein Zeugnis für das Durcheinander im modernen Alltag und die unvermeidliche Fehlerhaftigkeit menschlicher Systeme. Gewisse Anfeindungen bilden die Ausnahme, sie kommen halt vor. Aber: um Himmels Willen, es handelt sich nicht um wissenschaftliche Forschung. Es handelt sich um Meinungen, um Eindrücke, um Empfindungen. Selbst die Zurschaustellung nicht nur angeblicher, sondern tatsächlicher "Vorkommnisse" - sie kann mein Bild nicht erschüttern. Ich verliere deshalb nicht die Achtung vor den Menschen, mit denen ich aneinander gerasselt bin, weil ich der irrigen Meinung bin, das Puzzleteil Forum X ist das Zentrum einer heliozentrischen Welt ...
So wandelten sich manche Foren zeitweise in Denunzier-Portale. Dies geschah allerdings nicht durch das initale Zutun der jeweiligen Macher! Auch hier lässt sich imho nicht pauschal eine Verantwortung herleiten.
Man (als Neutrum) suchte nach der eigenen oder einer fremden Existenz in der seelenlosen Internet-Maschinerie, in der der eigene Name, respektive der auf einen Suchbegriff oder ein Posting reduzierte Mensch existiert und eine ihm zugewiesene Rolle spielte. Gelang der Versuch, mehr zu erfahren und förderte das geschriebene Wort des Einzelnen zutage, begann die Kette der Assoziationen. Der engagierte Vielleser beschreitet seinen Irrweg und fügt womöglich gefundene "Lebensdaten" wie ein Puzzle zusammen. Die Defragmentierung ist dabei der Gradmesser für einen potentiellen oder "gelungenen" Mobbing-Angriff. Man liest heraus, was man lesen will(?).
Je mehr Daten zur "Auswertung" verfügbar sind, desto "fruchtbarer" und geheimnisvoller, ja, desto spannender gestaltete sich das weitere Vorgehen auf dem Weg zur Erkenntnis. Je weniger Daten in die Kette von subjektiver Wahrnehmung einflossen, desto größer der Anreiz, noch mehr Daten zu sammeln. Gelang dies nicht, musste die Fantasie oder die Mutmaßung herhalten. Hier unterscheidet sich die Foren-Welt übrigens nicht im geringsten von der Sensations-/Tagespresse. Die Art, die Menge und die Aufbereitung von Fakten und Hintergünden in Kombination mit der Ausrichtung auf die jeweilige Zielgruppe (Leser) entscheidet über die Höhe der Auflage ... und den "Erfolg" überhaupt Leser zu finden.
In schlichter Ermangelung der Kenntnis tatsächlicher Lebensumstände und der Personen, die "hinter all dem" stecken, werden oberflächliche Annahmen und Eindrücke wohl auch künftig für ein krampfhaft lückenloses Persönlichkeitsbild herhalten müssen.
Ein Forum als heruntergekommenes Viertel am Rande der auf Technik gegründeten urbanen Gesellschaft wird zur Bühne und Szenerie für exzessive Darstellungen einer maskierten Aktions- und Interessengruppe erhoben. Die Regeln der Netiquette scheinen nicht mit dem Willen zur Offenlegung angeblicher Mißstände konform zu sein, drum werden diese an sich einfachen und schlicht sinnvollen und guten Regeln gern auch mal für den Moment in Form eines emotionalen Postings außer Acht gelassen.
In Zeiten bestimmter Informationsflauten wurden und werden Machern der Szene braune Gesinnungsstreifen ans Revers geheftet - eine ebenso absurde wie infame und traurige Herstellung von Vergleichen zu historischen Ereignissen der finstersten Art. Der Griff ins Klo der Geschichte als Mittel, einen sich im Kreis drehenden Diskurs am Leben zu halten. Das stimmt nachdenklich, da lasse ich die Alarmglocken klingen, da hake ich definitv selbst nach!
Unterm Strich: Es ist falsch, die Menschen nach den Fragmenten ihrer Äußerungen beurteilen zu wollen. Es ist falsch, weil sowohl aus der Distanz wahrgenommene Charaktere als auch virtuelle Persönlichkeitsbilder konturlos werden, weil diese Bilder verschwimmen und ihre Verletzbarkeiten offenbaren, ihr angeblich niederes Tun, ihre Wunden. Weil dies dazu führt, die Wohnzimmerkritiker auf den Plan zu rufen, die ihre Finger in die Wunden legen.
Ist es nicht so, dass den Lesern mittlerweile fast nur noch durch das fortgesetzte Hervorholen von Postings längst vergangener Zeiten abverlangt wird, den verschiedenen Architekten der Award-Szene in den Hintern zu treten, weil zumeist nur einzelne Menschen der Meinung ist, dass einzelne Maurer und Poliere ab und zu schiefe Türme bauen?
Ist es nicht zu einfach, den Index-Betreibern stets oder den Foren-Betreibern ab und an eine Mitverantwortung zuzuschieben? Sie dafür noch anzuklagen, etwas konstruktives zu tun, anstatt nur von außen dagegen zu wettern?
Michael K.